Themenfelder

3. Der Nachhaltigkeits-Due-Diligence-Prozess

Veröffentlicht: 21. Februar 2024 aus Rundschreiben Nachhaltigkeit 1-2024
Von: Anna Margareta Gehrs, Sebastian Behrens

ESRS 1 verpflichtet nicht zu einem gesonderten Nachhaltigkeits-Due-Diligence-Prozess, sondern bezieht sich auf die allgemeinen Sorgfaltspflichten des Managements. Dieses erfolgt durch konkrete Bezugnahme auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in ESRS 1.59. Dass in ESRS 2 GOV-4 ausdrücklich eine zusammenfassende Beschreibung des bestehenden Prozesses gefordert wird, steht dazu nicht in Widerspruch, da die Beschreibung den Teil des gesamten Due-Diligence-Prozesses umfassen kann, der sich auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung bezieht.

Der Nachhaltigkeits-Due-Diligence-Prozess umfasst die Stakeholder-Einbindung, die Wesentlichkeitsanalyse, die Berichterstattung und eine sich hieraus eventuell ergebende Anpassung von Governance, Strategie und/oder Geschäftsmodell. Er definiert somit einen fortlaufenden Prozess kontinuierlicher Entwicklung.

 

3.1. Stakerholder-Einbindung

ESRS 1 definiert zwei Arten von Stakeholdern (oder in der Sprache der ESRS: Interessenträgern): solche, die direkt von Maßnahmen und Entscheidungen eines Unternehmens betroffen sind (z. B. Kunden oder Mitarbeiter), und solche, die die Informationen der Nachhaltigkeitsberichterstattung lediglich für sich nutzen (z. B. Kapitalgeber). Es kann inhaltliche Überschneidungen geben. Zusätzlich spricht ESRS 1 von sog. stillen Stakeholdern. Hierzu zählt die Natur. Deren „Stimme“ kann nur über Studien u. Ä. in die sich der Stakeholderanalyse anschließende Wesentlichkeitsanalyse einfließen.

Gemäß ESRS 1 sind alle wesentlichen Stakeholder zwingend in den Due-Diligence-Prozess einzubeziehen, es wird aber keine bestimmte Form der Einbeziehung vorgeschrieben. Stakeholder können unmittelbar z. B. im persönlichen Dialog oder mittels Verwendung von Fragebögen einbezogen werden. Es ist aber auch zulässig, Experten im eigenen Haus bzgl. der Sichtweisen der Stakeholder zu befragen. So kann beispielsweise der Vertriebsleiter die Aufgabe erhalten, sich die „Brille“ der wichtigsten Kunden aufzusetzen und deren in Geschäftsverhandlungen oder bei anderen Gelegenheiten geäußerten Erwartungen wiederzugeben.

3.2. Wesentlichkeitsanalyse

Der zweite und ganz entscheidende Part des Nachhaltigkeits-Due-Diligence-Prozesses ist die Wesentlichkeitsanalyse. Die Regelungen zur Wesentlichkeitsanalyse finden sich in den Gliederungspunkten 3.2. ff. des ESRS 1.

Was verbirgt sich hinter dem Prinzip der Wesentlichkeit? Es sieht vor, dass alle entscheidungsrelevanten Sachverhalte in Übereinstimmung mit verpflichtenden Standards dargestellt werden. Entscheidungserheblich ist alles, was den Nutzer der Informationen in seiner Entscheidungsfindung beeinflussen kann. Der Zweck der Wesentlichkeitsanalyse ist somit die Identifizierung und Priorisierung der sowohl für das Unternehmen als auch insbesondere für seine (wesentlichen) Stakeholder erheblichen und relevanten Themen. Diese Themen definieren den Handlungsrahmen für das Nachhaltigkeitsmanagement und die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die Wesentlichkeitsanalyse ist nicht auf Unternehmensebene durchzuführen, sondern gemäß ESRS 1.39 auf Bereichsebene.

ESRS 1.37 legt fest, dass die Wesentlichkeit aus zweierlei Perspektiven zu betrachten ist: der Wesentlichkeit der Auswirkungen und der finanziellen Wesentlichkeit. Themen können entweder einer der beiden oder auch beiden Perspektiven zugeordnet werden. Damit ein Thema als wesentlich im Sinne von ESRS 1 angesehen wird, reicht es aus, wenn eine der beiden Perspektiven vorliegt. Da diese beiden Perspektiven gleichwertig und unabhängig nebeneinanderstehen, beschreibt ESRS 1 dies als Prinzip der doppelten Wesentlichkeit.

In ESRS 1.43 ff. bzw. ESRS 1.47 ff. werden die „Auswirkungswesentlichkeit“ und „finanzielle Wesentlichkeit“ erläutert. Hieraus ergeben sich folgende Definitionen:

  • Auswirkungswesentlichkeit: Ein Thema ist wesentlich, wenn sich kurz-, mittel- oder langfristig tatsächliche oder mögliche, positive oder negative Auswirkungen hieraus für Menschen oder Umwelt ergeben können. Diese Auswirkungen können aus der eigenen Geschäftstätigkeit oder der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette, aus eigenen Produkten und Leistungen sowie auch aus Geschäftsbeziehungen entstehen. Man spricht dann von der sog. Inside-Out-Wirkung.
  • Finanzielle Wesentlichkeit: Ein Thema ist wesentlich, wenn es kurz-, mittel- oder langfristig bedeutsame Risiken und Chancen für das Unternehmen bzgl. seiner wirtschaftlichen Entwicklung, seiner finanziellen Ausstattung und Ergebnissituation, seiner Cashflows oder seines Zugangs zu finan­ziellen Mitteln sowie der Höhe seiner Finanzierungskosten verursacht. Diesen Effekt nennt man auch Outside-In-Wirkung.

Der entscheidende Unterschied zur bisherigen Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie sie derzeit im Handelsgesetzbuch (HGB) verankert ist, liegt darin, dass die Verknüpfung der beiden Dimensionen bislang mit einem „und“ ausgestattet war. Es war erforderlich, dass beide Dimensionen als wesentlich beurteilt wurden, um berichtspflichtig zu sein. Die CSRD ändert dies nun dahin gehend, dass bereits die Erfüllung einer Wesentlichkeitsdimension ausreicht, sie ersetzt somit das „und“ durch ein „oder“. Dies dürfte vielfach zu einer größeren Zahl relevanter Themen für den Nachhaltigkeitsbericht führen.

Sämtliche Themenstandards und alle Angabepflichten unterliegen einem Wesentlichkeitsvorbehalt. Eine Berichterstattung zu einzelnen Themen hat demnach nur zu erfolgen, wenn sie als wesentlich betrachtet werden. Die einzigen Ausnahmen bilden die jeweiligen ergänzenden Angabepflichten in den Themenstandards zu IRO-1 und, wie eingangs bereits erläutert, der ESRS E1. Für diesen ist in die Berichterstattung eine ausdrückliche Begründung aufzunehmen, wenn das Unternehmen das Thema als nicht wesentlich betrachtet.  

Grundsätzlich besteht zwischen beiden Dimensionen eine Wechselwirkung. Auswirkungswesentliche Aspekte führen in der Regel auch zu einer finanziellen Wesentlichkeit. Daher wird in ESRS 1 ausdrücklich empfohlen, mit der Analyse der Auswirkungswesentlichkeit zu beginnen. Wie in Gliederungspunkt 1. erläutert, enthält ESRS 1 AR 16 eine Tabelle mit möglichen nachhaltigkeitsrelevanten Themen, die für die Wesentlichkeitsanalyse verpflichtend zugrunde zu legen ist. Zusätzlich sind unternehmensspezifische Themen zu erfassen.

Der ESRS 1 empfiehlt Unternehmen für die Prüfung der Auswirkungswesentlichkeit folgende Schritte:

  1. Gewinnung eines Verständnisses über Zusammenhänge in Bezug auf seine Auswirkungen, einschließlich der Tätigkeiten, der Geschäftsbeziehungen und der Interessenträger
  2. Ermittlung der tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen, ggf. in Zusammenarbeit mit Interessenträgern und Experten
  3. Bewertung der Wesentlichkeit und Festlegung von Schwellenwerten, um zu bestimmen, welche Auswirkungen in dem Nachhaltigkeitsbericht zu berücksichtigen sind

Die konkrete Bewertung der Auswirkungswesentlichkeit unterscheidet sich dabei, ob die Auswirkung bereits eingetreten oder nur potenzieller Natur ist sowie ob sie eine negative oder positive Ausprägung hat.

Der Schweregrad setzt sich zusammen aus den Faktoren Ausmaß (Wie gravierend ist die Auswirkung?) und Reichweite (Wie weit ist die Auswirkung verbreitet, z. B. nach geografischen Bereichen oder auch nach der Anzahl der betroffenen Produkte?). Bei negativen Auswirkungen tritt das Kriterium der Unabänderlichkeit hinzu, das sich mit der Frage beschäftigt, ob und in welchem Umfang die negativen Auswirkungen auf Menschen oder die Umwelt durch weitere Maßnahmen behoben bzw. rückgängig gemacht werden können. Für die Bewertung eines Themas als wesentlich ist es ausreichend, wenn mindestens ein Faktor zur Beurteilung des Schweregrades als wesentlich bewertet wird.
 

Die Bewertungskriterien der Auswirkungswesentlichkeit

Unter Berücksichtigung der Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit und unter Zugrundelegung der definierten Schwellenwerte lässt sich hieraus beurteilen, ob ein Nachhaltigkeitsaspekt für Mensch und Umwelt auswirkungswesentlich ist.Die Bewertung der finanziellen Wesentlichkeit fokussiert sich hingegen auf die Wirkung der Risiken und Chancen aus Nachhaltigkeitsaspekten auf die finanzielle Lage eines Unternehmens und die Entscheidungserheblichkeit dieser Information. Dies bedeutet, dass insbesondere dann Informationen als wesentlich anerkannt werden, wenn davon auszugehen ist, dass sich eine Auslassung, Falschangabe oder Verschleierung eben dieser auf Entscheidungen auswirken kann, die Hauptnutzer der allgemeinen Finanzberichterstattung auf Grundlage des Nachhaltigkeitsberichts treffen. Es ist somit zu ermitteln, ob sich aus nachhaltigkeitsbezogenen Risiken oder Chancen finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen ergeben. Ausgangspunkt der Überlegungen ist hierbei die Ermittlung von Abhängigkeiten von natürlichen, personellen und sozialen Ressourcen. Diese Abhängigkeiten können sich einerseits auf die Fähigkeit des Unternehmens auswirken, die für seine Geschäftsprozesse erforderlichen Ressourcen weiterhin zu nutzen oder zu beschaffen, sowie die Qualität und Preise der Ressourcen beeinflussen.


Die Bewertungskriterien der finanziellen Wesentlichkeit

Andererseits ist auch denkbar, dass die Fähigkeit beeinträchtigt wird, sich zu akzeptablen Bedingungen auf die für die Geschäftsprozesse erforderlichen Beziehungen zu verlassen.

Die Wesentlichkeit von Risiken und Chancen bestimmt sich aus einer Kombination der potenziellen Größenordnung und der Eintrittswahrscheinlichkeit der finanziellen Auswirkung.

Eine mögliche Kausalkette zwischen auswirkungs- und finanziell wesentlichen Aspekten zeigt das folgende Beispiel aus der Baubranche: Während die Produktion von notwendigem Zement zu einem erheblichen Treibhausgasausstoß führt, der dem Klimawandel weiteren Vorschub leistet und somit eine negative Auswirkung auf die Umwelt darstellt, können hieraus als Folge finanzielle Risiken der Art entstehen, dass durch den Klimawandel verstärkt auftretende Extremwetterereignisse Einfluss auf die Prozesse und Planungen auf der Baustelle haben können. Als Gegenbeispiel lässt sich anführen, dass die Spezialisierung auf energieeffiziente Gebäude dem Klimawandel entgegenwirkt, folglich eine positive Auswirkung ausstrahlt. Damit könnte die finanzielle Chance einhergehen, leichter an Fremdkapitalmittel zu kommen, da das Unternehmen gute EU-Taxonomie-Kennzahlen aufweist.

Der Prozess der Wesentlichkeitsanalyse ist jährlich durchzuführen. Es darf auf die Vorjahresergebnisse und -einschätzungen zurückgegriffen werden, wenn sich keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Solche können sich beispielsweise aus wichtigen M&A-Transaktionen, Wechseln bei entscheidenden Lieferanten, globalen Ereignissen (Pandemie, Krieg), wesentlichen Änderungen bei sozialen Standards sowie aus neuen Produktsparten oder Standorten ergeben, aber auch aufgrund einer geänderten gesetzlichen Regulatorik. Sollten keine entsprechenden Sachverhalte vorliegen, reicht ein schlichtes Update aus. Bei wesentlichen Änderungen ist eine Neuaufnahme zu machen.

Auch für die Wesentlichkeitsanalyse hat die EFRAG eine Implementation Guidance mit weiteren hilfreichen Erläuterungen im Entwurf veröffentlicht.

Beispiel für eine Kausalkette zwischen auswirkungs- und finanziell wesentlichen Aspekten aus der Baubranche

3.3. Zeitliche Horizonte in der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung bezieht sich grundsätzlich auf denselben Zeitraum wie die Finanzberichterstattung: auf das jeweilige Geschäftsjahr. Dies ist schon dadurch bedingt, dass die Nachhaltigkeitserklärung integraler Bestandteil des Lageberichts ist. Aber für die Wesentlichkeitsanalyse ergeben sich abweichende Zeithorizonte, die in ESRS 1.77 auch definiert werden. Danach entspricht der kurzfristige Zeitraum dem der Finanzberichterstattung, also in der Regel ein Jahr. Der mittelfristige Horizont ist länger als ein Jahr und kann maximal fünf Jahre betragen. Als langfristige Horizonte sind solche von über fünf Jahren zu werten. In Themenstandards gibt es z. T. abweichende Festlegungen für Zeithorizonte. Aufgrund ausdrücklicher Regelung in ESRS 1.79 gehen diese den allgemeinen Regelungen ausdrücklich vor. Wenn Unternehmen in der eigenen Berichterstattung mit anderen Horizonten arbeiten und dieses entsprechend begründen, ist dies gemäß ESRS 1 ebenfalls zulässig, aber auch tatsächlich so in der Wesentlichkeitsanalyse zugrunde zu legen und ausdrücklich offenzulegen.

Dipl.-Kfm. Anna Margareta Gehrs

Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Partnerin, Sustainability-Auditor IDW

+49 521 2993176

Sebastian Behrens, B.Sc.

Steuerberater, Sustainability-Auditor IDW

+49 521 29934177

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Nachhaltigkeit 1-2024

Veröffentlicht: 21. Februar 2024

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