News Umsatzsteuerberatung

Unternehmereigenschaft und Vorsteuerabzug bei defizitären Tätigkeiten

Veröffentlicht: 19. Dezember 2023 aus Rundschreiben Umsatzsteuer 2-2023
Von: Karin Korte, Timo Kaschub

In zwei Urteilen vom 30.3.2023 verneint der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Unternehmereigenschaft und damit auch den Vorsteuerabzug von zwei polnischen Gemeinden aufgrund der fehlenden Kostendeckung und der mangelnden Nachhaltigkeit der Tätigkeiten.

 

Unternehmer ist, wer selbstständig eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen ausübt, auch wenn die Absicht fehlt, Gewinne zu erzielen. Mangelt es an der Unternehmereigenschaft, unterliegen die Ausgangsleistungen zwar einerseits nicht der Umsatzsteuer, jedoch besteht auf der anderen Seite auch kein Recht auf Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen.

In der Praxis ist man folglich bisher davon ausgegangen, dass auch nicht kostendeckende Einrichtungen unternehmerisch tätig sein und damit ein Recht auf Vorsteuerabzug haben können, sofern zumindest eine Einnahmenerzielungsabsicht vorliegt.

Diese Sichtweise gilt es aufgrund der neuesten EuGH-Rechtsprechung nun zu hinterfragen. Den Urteilen liegen zwei Fälle aus Polen zugrunde. Im ersten Fall überließ die Gemeinde Photovoltaikanlagen an Grundstückseigentümer und erhob von diesen nur 25 % der Kosten. Die verbleibenden 75 % der Kosten erhielt die Gemeinde teils durch einen Zuschuss von Dritten, teils trug sie die Kosten selbst. Der zweite Fall lag ähnlich. Hier ließ eine polnische Gemeinde die Beseitigung von Asbest vornehmen, ohne dass sich die Grundstückseigentümer an den Kosten beteiligten, da die Gemeinde auf Zuschüsse zwischen 40 % und 100 % durch einen Umweltschutzfonds hoffte.

Nach einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalls kam der EuGH in beiden Fällen zunächst zwar zu dem Ergebnis, dass dem Grunde nach Leistungen gegen Entgelt und damit ein Leistungsaustausch zwischen den Gemeinden und den Grundstückseigentümern vorlag, da die Höhe des Preises bei einem Leistungsaustausch nicht relevant ist bzw. auch in den Zuschüssen Dritter ein Entgelt gesehen werden könne. Allerdings verneint der EuGH im Rahmen eines Fremdvergleichs in beiden Fällen die Nachhaltigkeit der Tätigkeiten und damit im Ergebnis die Unternehmereigenschaft und den Vorsteuerabzug der Gemeinden. Ein fremder Dritter hätte so nicht agiert. Dies begründet der EuGH im Falle der Überlassung der Photovoltaikanlagen damit, dass die Leistungen nicht wiederkehrend erbracht wurden. Im Falle der Asbestbeseitigung argumentiert der EuGH, dass zudem weder Kunden gesucht noch eigenes Personal eingestellt wurde und darüber hinaus keine Einnahmenerzielungsabsicht vorlag, sofern die Gemeinde lediglich auf spätere Zuschüsse hoffte.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte hingegen bei defizitärem Handeln bisher die Unternehmereigenschaft grundsätzlich bejaht. Vorsicht galt bislang nur bei einer Asymmetrie zwischen Betriebskosten und den Einnahmen oder bei symbolischen Entgelten. Fraglich ist, wie der BFH bei künftigen Verfahren vor dem Hintergrund der neuesten EuGH-Entscheidungen urteilen und ob er seine bisher tendenziell eher großzügige Rechtsprechung korrigieren wird. Auch ist noch offen, ob und wie sich die Finanzverwaltung zu den beiden Urteilen äußern wird. Für die Praxis gilt es daher künftig, bei defizitärem Handeln darauf zu achten, den Vorsteuer­abzug durch entsprechende Maßnahmen nicht zu verlieren.

Hinweis

Obwohl die beiden Urteile zu Einrichtungen des öffentlichen Bereichs ergangen sind, sind die Grundsätze auch für Fälle außerhalb des öffentlichen Bereichs zu beachten.

Dipl.-Kff. Karin Korte

Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Partnerin

+49 521 2993358

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Rundschreiben
Umsatzsteuer 2-2023

Veröffentlicht: 19. Dezember 2023

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