Kürzere tatsächliche Nutzungsdauer von Immobilien
Veröffentlicht: 24. Mai 2023
aus
Steuern & Wirtschaft aktuell 2-2023
Von:
Niklas Helmsorig,
Prof. Dr. Oliver Middendorf
Der Bundesfinanzhof entschied am 28.7.2021, dass Steuerpflichtige, die eine kürzere Nutzungsdauer für Gebäude geltend machen wollen, sich jeder Darlegungsmethode bedienen können, solange sich aus dieser die erforderlichen Schlussfolgerungen für eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer entnehmen lassen. Das Bundesfinanzministerium hat am 22.2.2023 die Voraussetzungen hierfür konkretisiert.
Die Anschaffungskosten für abnutzbare Wirtschaftsgüter sind über die voraussichtliche Nutzungsdauer abzuschreiben. Für Immobilien gelten abhängig von der Art des Gebäudes sowie dessen Nutzung grundsätzlich typisierte Abschreibungssätze von 2 %, 2,5 % oder 3 %. Dies entspricht einer unterstellten Nutzungsdauer von 50, 40 oder 33 Jahren. Diese vorgegebenen Abschreibungssätze entsprechen gerade bei gebraucht erworbenen Immobilien jedoch nicht der Realität.
Steuerpflichtigen, die sich auf eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer ihres Gebäudes berufen wollen, ist es von nun an möglich, sich jeder Darlegungsmethode zu bedienen, die im Einzelfall einen erforderlichen Nachweis für eine kürzere Nutzungsdauer erbringt. Dies entschied der Bundesfinanzhof am 28.7.2021. Am 22.2.2023 nahm das Bundesfinanzministerium ausführlich zu diesem Urteil Stellung und konkretisierte die Voraussetzungen für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer von Immobilien.
Demnach müssen Rückschlüsse auf die maßgeblichen Kriterien möglich sein, die wesentlich die zu schätzende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer bestimmen. Zu diesen gehören der technische Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung und die rechtlichen Gegebenheiten.
Folglich hängt die Inanspruchnahme einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer davon ab, ob das Gebäude vor Ablauf des typisierten Abschreibungszeitraums technisch oder wirtschaftlich verbraucht ist. Der Ausgangspunkt ist dabei die technische Nutzungsdauer. Dies ist der Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt. Hierfür reicht es allerdings nicht aus, wenn einzelne unselbstständige Gebäudeteile erneuert oder ersetzt werden müssen. Für die Beurteilung ist allein die Tragstruktur des Bauwerks als Hauptbestandteil maßgebend. Anders als die technische Nutzungsdauer umfasst die wirtschaftliche Nutzungsdauer den Zeitraum, in dem das Gebäude rentabel genutzt werden kann.
In der Regel fallen die technische und wirtschaftliche Nutzungsdauer zusammen. Sollte die wirtschaftliche Nutzungsdauer ausnahmsweise kürzer sein, kann der Steuerpflichtige diese zugrunde legen, wenn er dies anhand konkreter Umstände glaubhaft machen kann.
Für den erforderlichen Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters oder eines zertifizierten Sachverständigen notwendig. Im Rahmen des Nachweises ist der Zustand des Gebäudes in seinen die Nutzungsdauer bestimmenden Elementen (Tragstruktur des Bauwerkes) darzustellen und begründet darzulegen, weshalb am Ende der geltend gemachten (kürzeren) Nutzungsdauer voraussichtlich keine wirtschaftlich sinnvolle (anderweitige) Nachfolgenutzung mehr möglich und kein Restwert mehr vorhanden ist. Die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten reicht laut Auffassung der Finanzverwaltung nicht als Nachweis aus. Ebenfalls nicht ausreichend soll der alleinige Verweis auf die Modellansätze der Immobilienwertermittlungsverordnung bzw. deren Anlagen zur Gesamtnutzungsdauer sein.
Hinweis
Insbesondere beim Erwerb von gebrauchten Immobilien sollten Steuerpflichtige prüfen, ob unter den genannten Voraussetzungen eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend gemacht werden kann.
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