News Immobiliensteuerrecht

Abschreibung von Immobilien über eine kürzere tatsächliche Nutzungs­dauer

Veröffentlicht: 28. Juni 2023 aus Rundschreiben Immo­bilien­steuerrecht 1-2023
Von: Prof. Dr. Oliver Middendorf, Mike Rickermann

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte am 28.7.2021 entschieden, dass Steuerpflichtige, die eine kürzere Nutzungsdauer für Gebäude geltend machen wollen, sich jeder Darlegungsmethode bedienen können, solange sich aus dieser die erforderlichen Schlussfolgerungen für eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer entnehmen lassen. Dem Bundesfinanzministerium (BMF) ging diese Auslegung zu weit. Es hat die seiner Ansicht nach erforderlichen Voraussetzungen für eine kürzere Nutzungsdauer daraufhin mit Schreiben vom 22.2.2023 konkretisiert.

 

Die Anschaffungskosten für abnutzbare Wirtschaftsgüter sind über die voraussichtliche Nutzungsdauer abzuschreiben. Für Immobilien gelten abhängig von der Art des Gebäudes sowie dessen Nutzung grds. typisierte Abschreibungssätze von 2 %, 2,5 % oder 3 %. Dies entspricht einer unterstellten Nutzungsdauer von 50, 40 oder 33 Jahren. Diese vorgegebenen Abschreibungssätze entsprechen jedoch gerade bei gebraucht erworbenen Immobilien häufig nicht der Realität.

Der BFH hatte im vorletzten Jahr entschieden, dass Steuerpflichtige, die sich auf eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer ihres Gebäudes berufen wollen, sich jeder Darlegungsmethode bedienen können, die im Einzelfall einen erforderlichen Nachweis für eine kürzere Nutzungsdauer erbringt. Dieser Ansicht wollte die Finanzverwaltung nicht folgen. Am 22.2.2023 nahm das BMF ausführlich zu dem Urteil Stellung und konkretisierte die Voraussetzungen für eine verkürzte Nutzungsdauer von Immobilien. Danach sind an den Nachweis wesentlich strengere Maßstäbe zu stellen.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung müssen Rückschlüsse auf die maßgeblichen Kriterien möglich sein, die die zu schätzende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer wesentlich bestimmen. Zu diesen Kriterien gehören der technische Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung und die rechtlichen Gegebenheiten.

Folglich hängt die Inanspruchnahme einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer davon ab, ob das Gebäude vor Ablauf des typisierten Abschreibungszeitraums technisch oder wirtschaftlich verbraucht ist. Der Ausgangspunkt ist dabei die technische Nutzungsdauer. Dies ist der Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt. Hierfür reicht es allerdings nicht aus, wenn einzelne unselbstständige Gebäudeteile erneuert oder ersetzt werden müssen. Für die Beurteilung ist allein die Tragstruktur des Bauwerks als Hauptbestandteil maßgebend. Anders als die technische Nutzungsdauer umfasst die wirtschaftliche Nutzungsdauer den Zeitraum, in dem das Gebäude rentabel genutzt werden kann.

In der Regel fallen die technische und die wirtschaftliche Nutzungsdauer zusammen. Sollte die wirtschaftliche Nutzungsdauer ausnahmsweise kürzer sein, kann der Steuerpflichtige diese zugrunde legen, wenn er dies anhand konkreter Umstände glaubhaft macht.

Für den erforderlichen Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters oder eines zertifizierten Sachverständigen notwendig. Im Rahmen des Nachweises ist der Zustand des Gebäudes in seinen die Nutzungsdauer bestimmenden Elementen (Tragstruktur des Bauwerks) darzustellen. Ferner ist begründet darzulegen, weshalb am Ende der geltend gemachten (kürzeren) Nutzungsdauer voraussichtlich keine wirtschaftlich sinnvolle (anderweitige) Nachfolgenutzung mehr möglich und kein Restwert mehr vorhanden ist. Die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten reicht laut Auffassung der Finanzverwaltung nicht als Nachweis aus. Ebenfalls nicht ausreichend soll der alleinige Verweis auf die Modellansätze der Immobilienwertermittlungsverordnung bzw. auf deren Anlagen zur Gesamtnutzungsdauer sein.

Hinweis

Insbesondere beim Erwerb von gebrauchten Immobilien sollten Steuerpflichtige prüfen, ob unter den genannten Voraussetzungen eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend gemacht werden kann. Gern sind wir Ihnen hierbei behilflich.

Dipl.-Kfm. Prof. Dr. Oliver Middendorf

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner

+49 40 822169034

Unsere Autorinnen und Autoren des Beitrags beraten Sie gerne zu Ihren persönlichen Fragen. Mehr zum Bereich:

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Rundschreiben
Immo­bilien­steuerrecht 1-2023

Veröffentlicht: 26. Juni 2023

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