Vereinfachtes Ertragswertverfahren oder Gutachten nach IDW S1? Der Steuerpflichtige bestimmt die Methode zur Unternehmensbewertung - BFH Urteil vom 02.12.2020 – II R 5/19
Veröffentlicht: 21. Juli 2021
Die Unternehmensbewertung kann nach dem sog. vereinfachten Ertragswertverfahren oder einem anderen anerkannten Bewertungsverfahren (z.B. IDW S1) erfolgen. Welches Verfahren angewandt wird, bestimmt der Steuerpflichtige. Fehler oder methodische Mängel des vorgelegten Bewertungsgutachtens rechtfertigen nicht, dass auf das vereinfachte Ertragswertverfahren zurückgegriffen wird.
Für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer werden Unternehmen und Anteile daran mit dem Verkehrswert (steuerlich gemeiner Wert) bewertet. Kann der Unternehmenswert nicht aus Verkäufen oder Börsenkursen ermittelt werden, so ist der Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten zu ermitteln. Hierfür kann der Steuerpflichtige auf das vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 199 ff. BewG oder eine andere anerkannte für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methode zurückgreifen. Eine solche übliche Methode ist zum Beispiel ein Gutachten nach IDW S1.
Unstreitig wies das von dem Steuerpflichtigen vorgelegte Gutachten zum Unternehmenswert Mängel auf. Daraufhin haben das Finanzamt und dem folgend und bestätigend das Finanzgericht (FG Düsseldorf 12.12. 2018 – Az: 4 K 108/18 F) das vereinfachte Ertragswertverfahren herangezogen. Der Kläger wandte ein, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren zu unzutreffenden Ergebnissen führe und deshalb ein anderes betriebswirtschaftlich anerkanntes Bewertungsverfahren (IDW S1) anzuwenden sei.
Während der Gutachter des Klägers einen Wert des Anteils in Höhe von EUR 6.471.825 gem. IDW S1 ermittelte, ermittelte das Finanzamt einen Wert in Höhe von EUR 13.935.799 und das FG einen Wert Höhe von EUR 12.177.306 für die Anteile, jeweils basierend auf dem vereinfachten Ertragswertverfahren.
Der für die Schenkung- und Erbschaftsteuer zuständige Senat des BFH lehnte die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens ab. Der Steuerpflichtige entscheidet, ob er das vereinfachte Ertragswertverfahren anwenden oder ein anderes anerkanntes betriebswirtschaftliches Verfahren zugrunde legen (z.B. IDW S1) will.
Wenn das FG Zweifel an dem Gutachten nach IDW S1 hat,
- dann muss es dem Steuerpflichtigen Gelegenheit geben, das Gutachten nachzubessern und Zweifel auszuräumen;
- gelingt dies nicht und hält das FG das Gutachten für ungenügend, dann kann es eine eigene Begutachtung durch denselben oder einen anderen Sachverständigen beauftragen.
Von der Beauftragung eines eigenen Sachverständigen kann das FG nur absehen, wenn es über die eigene Sachkunde verfügt. Legt der Steuerpflichtige ein Gutachten für die Bewertung vor, darf das Finanzamt oder das FG bei Mängeln und Fehlern nicht ohne Weiteres dem vereinfachten Ertragswertverfahren den Vorrang einräumen.
Fazit
Die Bedeutung des Urteils für die Praxis ist nicht zu unterschätzen. Es gibt dem Steuerpflichtigen auch im Nachhinein die Möglichkeit, eine niedrigere (weil realitätsgerechtere) Bewertung zu erreichen und verwehrt dem Finanzamt den Rückgriff auf das vereinfachte Ertragswertverfahren und sei es nur die Drohung, dies anzuwenden.
Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist ein pauschaliertes Bewertungsverfahren, bei dem Vergangenheitswerte für die Zukunft unterstellt werden und das einen typisierten Kapitalisierungsfaktor vorsieht. Unternehmensindividuelle Besonderheiten wie Inhaberabhängigkeit, das branchen- und unternehmensspezifische Risiko sowie das besondere Kapitalstrukturrisiko werden nur in betriebswirtschaftlichen Bewertungsverfahren (z.B. IDW S1) berücksichtigt.
Andererseits sind anerkannte betriebswirtschaftlichen Bewertungsverfahren wie IDW S1 aufwendig und – aufgrund ihrer höheren Komplexität - fehleranfälliger.
Das Finanzamt kann nicht mit dem Hinweis auf vermeintliche Fehler das vereinfachte Ertragswertverfahren heranziehen. Vielmehr kann der Steuerpflichtige auch nachträglich Fehler korrigieren und weitere Aspekte nachbessern / nachreichen.
Das Urteil betraf die Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Die Grundsätze sollten aber auch für Bewertungen für ertragsteuerliche Zwecke gelten.