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BMF konkretisiert die Voraussetzungen für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer von Immobilien

Veröffentlicht: 10. März 2023

Auslöser für das BMF-Schreiben war das BFH-Urteil vom 28.07.2021. Der BFH hatte entschieden, dass Steuerpflichtige die eine kürzere Nutzungsdauer für Gebäude geltend machen wollen, sich jeder Darlegungsmethode bedienen können, die zur Führung des Nachweises geeignet ist. Insbesondere die von der Finanzverwaltung verlangte Vorlage eines Bausubstanzgutachtens hat der BFH eine Absage erteilt.

Zukünftig können Steuerpflichtige sich somit jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer von Gebäuden geeignet erscheint, solange Rückschlüsse auf die maßgeblichen Determinanten (z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Gegebenheiten) möglich sind.

Durch die Rechtsprechung sollte es für die Steuerpflichtigen einfacher möglich, sich den festgelegten unterschiedlichen AfA-Sätzen des § 7 Abs. 4 S. 1 und der sich daraus ergebenen Nutzungsdauer zu „entziehen.“ Insbesondere für gebraucht erworbene Immobilien ist die Rechtsprechung von Interesse, da diese häufig eine kürzerer tatsächliche Nutzungsdauer haben dürften als die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG vermuteten.

 

Folgende Grundsätze sind nach Auffassung der Finanzverwaltung für die Inanspruchnahme der AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer zu beachten:

AfA von Gebäuden nach typisierten festen AfA-Sätzen
Grundsätzlich gelten weiterhin unverändert die typisierten anzusetzende AfA-Prozentsatz gem. § 7 Abs. 4 S. 1 EStG Dies gilt auch für die Abschreibung einer erworbenen Bestandsimmobilie.

AfA von Gebäuden nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer
Dem Steuerpflichtigen steht in begründeten Ausnahmefällen die Option zu, die Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer, statt nach typisierten festen AfA-Sätzen vorzunehmen.

Gründe für eine AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer
Entscheidend für die Bemessung der linearen Gebäude-AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer ist, ob das Gebäude vor Ablauf des AfA-Zeitraums gem. § 7 Abs. 4 S. 1 EStG technisch oder wirtschaftlich verbraucht ist. Für die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer wird an einer größtmöglichen Wahrscheinlichkeit orientierte Schätzung zugrunde gelegt, welche alle technischen und wirtschaftlichen Umstände des Gebäudes berücksichtigt.
Ein vorerst noch genutztes Gebäude abzubrechen oder zu veräußern, rechtfertigt keine zugrunde gelegte kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, es sei denn eine weitere Nutzung ist so gut wie ausgeschlossen ist. Erst wenn der Zeitpunkt der Nutzungsbeendigung (z.B. durch geplanten Abbruch) des Gebäudes feststeht, kann die entsprechende AfA vorgenommen werden.

Kürzere Nutzungsdauer aus AfA-Tabellen und Mietereinbauten
Sehen die Afa-Tabellen für bestimmte Gebäude (z.B. Leichtbauhallen, Schuppen usw.) kürzere Nutzungsdauern vor, kann die kürzere Nutzungsdauer stets auch ohne einen entsprechenden Nachweis angenommen werden. Die Richtwerte sind jeweils den AfA-Tabellen zu entnehmen. Bei Abweichungen muss der Steuerpflichtige die Gründe dafür vortragen. Bei Mietereinbauten und -umbauten kann sich ggf. eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer aufgrund einer kürzeren Mietdauer ergeben.

Eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer kann sich auch bei Musterhäusern vermuten lassen, welche nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb als Wohngebäude genutzt werden.

Kriterien für eine kürzere Nutzungsdauer
Die folgenden Einflussfaktoren bestimmen wesentlich die zu schätzende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer:

  • Technischer Verschleiß,
  • Wirtschaftliche Entwertung und
  • Rechtliche Gegebenheiten.

Ausgangspunkt für die Schätzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer ist regelmäßig die technische Nutzungsdauer, also der Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt. Wenn die wirtschaftliche Nutzungsdauer ausnahmsweise kürzer als die technische sein sollte, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen.

Für die Beurteilung des technischen Verschleißes ist die Tragstruktur des Bauwerks als Hauptbestandteil des Gebäudes ausschlaggebend, welche in der Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt sein muss. Es reicht nicht aus, dass lediglich einzelne unselbstständige Teile des Gebäudes erneuert oder ersetzt werden müssen, auch nicht, wenn dies zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes führen würde. Nur wenn die Möglichkeit einer anderweitigen sinnvollen Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist, kann eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer zugrunde gelegt werden.

Nachweismethoden
Der Nachweis ist durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters oder einem nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen zu erbringen. Die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht als Nachweis. Der alleinige Verweis auf die Modellansätze der ImmoWertV bzw. deren Anlagen der Gesamtnutzungsdauer ist ebenfalls nicht ausreichend.

 

Fazit

Steuerpflichtige die eine kürzere Nutzungsdauer geltend machen wollen, sind frei in der Wahl ihrer Darlegungsmethode. Die Finanzverwaltung verlangt jedoch die Vorlage eines Gutachtens zum Nachweis der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer. Das Gutachten muss bei der Begründung der kürzeren tatsächliche Nutzdauer zwingend die o.g. Kriterien berücksichtigen.  

Ob sich für die Steuerpflichtigen die durch das BFH v. 28.07.2021 bestehende Hoffnung auf eine leichtere Durchsetzung von kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer unter Berücksichtigung des von der Finanzverwaltung genannten Grundsätze erfüllen, wird sich in der Praxis zeigen müssen.

 

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