Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von 6 % p.a.
Veröffentlicht: 18. August 2021
Seit mehr als einem Jahrzehnt werden wegen des gesetzlich festgelegten Zinssatzes von 6 % p.a. (§ 238 Abgabenordnung) verfassungsrechtliche Bedenken (strukturelles Niedrigzinsniveau seit 2008) erhoben. Das Bundesverfassungsgericht kommt nun zu dem Ergebnis, dass dieser Zinssatz ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist.
Das Bundesverfassungsgericht kommt in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 zu dem Ergebnis, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % (§§ 233a, 238 AO) für Zeiträume ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist. Das bisherige Recht sei für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiterhin anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, die Zinszeiträume ab dem 1. Januar 2019 war erfassen.
§ 233a AO regelt die Verzinsung von Steuererstattungen und Steuernachforderungen. Deren Zinslauf beginnt nach einer sog. Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten. Betroffen von dieser Norm sind daher solche Steuerpflichtigen, deren Steuerfestsetzungen bzw. dessen Änderung – beispielsweise nach einer Außenprüfung – nach Ablauf dieses Zeitraums erfolgt. Welche Steuerarten der Verzinsung unterfallen, ist in § 233a abschließend aufgeführt.
Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind Verfassungsbeschwerden, denen Verzinsungen von Gewerbesteuernachforderungen nach einer Außenprüfung zugrunde liegen. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit führt es im Wesentlichen wie folgt aus:
Ursprünglich war der gesetzliche Zinssatz von 6 % p.a. verfassungsgemäß. Dieser sei jedoch mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbar, soweit bei der Zinsberechnung für Zeiträume ab dem Jahr 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % Punkten zugrunde gelegt wird.
Grundsätzlich sei der Gesetzgeber „berechtigt, den durch eine späte Steuerfestsetzung erzielten Zinsvorteil der Steuerpflichtigen zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung typisierend zu bestimmen.“ Allerdings dürfe er „keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss bei seiner Maßstabsbildung realitätsgerecht den typischen Fall zugrunde legen.“
Die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, dass der Zinssatz von monatlich 0,5 % den durch eine späte Steuerfestsetzung potenziell entstehenden Vorteile abbilde, habe zugetroffen. Der Zinssatz habe in etwa den jährlichen Zinsen am Geld- und Kapitalmarkt entsprochen. Jedoch sei er dann nicht mehr zu rechtfertigen, „wenn sich der typisiert festgelegte Zinssatz im Laufe der Zeit unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident realitätsfern erweist". Dies ist seit dem Jahr 2014 der Fall.
Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 habe sich ein strukturelles niedrig Zinsniveau entwickelt, welches nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen sei. Dies zeige sich insbesondere in der Entwicklung des Basiszinssatzes sowie der Zinsen am Kapital; spätestens seit dem Jahr 2014 sei dies struktureller nachhaltiger Natur. Der typisierte Zinssatz sei evident realitätsfern. Da der gesetzliche Zinssatz „spätestens im Jahr 2014 nicht nur etwa das Doppelte des überhaupt noch erzielbaren Vorteils ausmacht, sondern auch absolut ganz erheblich davon abweicht, unterwirft er Zinszahlungspflichtige Steuerschuldner einer zusätzlichen und nicht mehr vom Gesetzeszweck gedeckten Belastung.“
Fazit
Da das bisherige Recht betreffend die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen bis einschließlich 31. Dezember 2018 weiterhin anwendbar bleibt, dürften Einsprüche gegen entsprechende Zinsfestsetzungen kurzfristig zurückgewiesen werden. Zinszeiträume ab dem 1. Januar 2019 sollten weiterhin offen gehalten werden.
Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber rückwirkend reagiert. Das Urteil bedeutet nicht, dass keine Verzinsung entsteht, aber das Zinsniveau ist wenn niedriger.
Hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen (§ 237 AO) ist mit einem ähnlichen Ergebnis zu rechnen.