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Sinnwidrige Ergebnisse im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, “Einstiegstest“ oder „Missbrauchtest“ 90%-Grenze Verwaltungsvermögensquote

Eine Begünstigung von Betriebsvermögen soll nach dem ErbStG nur gewährt werden, wenn das schädliche Verwaltungsvermögen nicht die Grenze von 90%-Grenze übersteigt; sog. „Einstiegstest“. Dies soll jedoch nach dem FG Münster nicht gelten, wenn die betreffende Gesellschaft hauptsächlich originären gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeiten nachgeht.

Das Finanzgericht Münster (FG Münster) kam in seinem Urteil vom 24.11.2021 (3 K 2174/19 Erb) zu dem Ergebnis, dass die Vorschrift des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG (sog. „Einstiegstest“) einschränkend ausgelegt werden müsse, wenn das betreffende Unternehmen hauptsächlich land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeiten dient.

§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG regelt den sog. „Einstiegstest“. Nach seinem Sinn und Zweck handelt es sich um eine Missbrauchsvermeidungsnorm. Von der Verschonung soll solches begünstigungsfähiges Vermögen ausgenommen sein, das nahezu ausschließlich aus sog. Verwaltungsvermögen besteht.

Den Entscheidungsgründen des FG lag im Wesentlichen der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Der Wert des Betriebsvermögens bzw. der Anteile betrug 555.975 EUR. Die Summe der Finanzmittel betrug 2.517.649 EUR. Die Summe der Schulden betrug 3.138.504 EUR fest. Weiteres schädliches Verwaltungsvermögen war nicht vorhanden. Da im Rahmen des Einstiegstests von den Finanzmitteln die Schulden nicht abgezogen werden dürfen und damit die Bruttowerte der Finanzmittel ins Verhältnis zum (netto) Wert des Betriebsvermögens gesetzt werden (= 2.517.648 / 555.975), war die kritische Verwaltungsvermögensquote von mehr als 90% („Einstiegstest“) überschritten. Das Finanzamt versagte die Begünstigungen für Betriebsvermögen.

Das FG führte aus, dass zwar nach dem Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG („sog. Einstiegstest“) der Wert des begünstigungsfähigen Vermögens vollständig nicht begünstigt sei. Die Vorschrift stehe der Begünstigung im Streitfall jedoch nicht entgegen, weil der sog. Einstiegstest im streitigen Sachverhalt zu unterbleiben habe. Der Einstiegstest (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG) sei, im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen. Wenn das betreffende Unternehmen seinem Hauptzweck nach einer land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit diene, komme der Einstiegstest nicht zur Anwendung. Schließlich bestehe in diesen Fällen keine Missbrauchsgefahr, dass Anteile an Gesellschaften, deren Vermögen ganz überwiegend aus Verwaltungsvermögen besteht, unter missbräuchlicher Nutzung einer Steuervergünstigung übertragen werden könnten. Im Gegenteil würden durch eine uneingeschränkte Anwendung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG für solche Unternehmen Anreize gesetzt, entgegen ihrem gewachsenen und üblichen Geschäftsmodell Ausweichgestaltungen oder betriebswirtschaftlich nicht sinnvolle bzw. nachteilige Vorgehensweisen zu wählen, um einen positiven Einstiegstest zu erreichen.

Die Vorschrift des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG (Einstiegstest) sei, bezogen auf die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn bei der Auslegung der Vorschrift nicht danach unterschieden werde, welchem Hauptzweck die Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft diene. Schließlich habe der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Anpassung des ErbStG an die Rechtsprechung des BVerfG das Ziel verfolgt, die Verschonung betrieblichen Vermögens verfassungskonform auszugestalten. So sollte solches begünstigtes Vermögen von der Verschonung ausgenommen werden, das nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht, um zu verhindern, dass mittels einer geringfügigen land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit große Werte an Verwaltungsvermögen übertragen werden würden, für die ggf. eine Teilverschonung beansprucht werden könnte. Daher fehle es ab einem vernünftigen und einleuchtenden Grund, für übertragene Anteile an Kapitalgesellschaften im Wege des sog. Einstiegstests jegliche Vergünstigung zu versagen, wenn die Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaften nach ihrem Hauptzweck land- und forstwirtschaftlich, originär gewerblich oder freiberuflich ist.

Das FG Münster ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.

Fazit:

Da das FG Münster die Revision zugelassen und das unterlegene Finanzamt diese auch eingelegt hat, bleibt die Entscheidung des BFH (II R 49/21) abzuwarten.

Bis zur Entscheidung des BFH sollten alle Fälle offengehalten werden. Insbesondere wenn die Begünstigung von Betriebsvermögen aufgrund der Hauptzweckprüfung und dem sich anschließenden Nichtbestehen des 90 %-Tests versagt wird.

Das Urteil ist vom Ergebnis sehr zu begrüßen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein Unternehmen zu mehr als 90% schädlichem Verwaltungsvermögen bestehen soll, wenn von Finanzmitteln oder Verwaltungsvermögen Schulden nicht abgezogen werden können, aber der Unternehmenswert „netto“ und damit unter Berücksichtigung von Schulden angesetzt wird. Der Urteilsfall illustriert das Problem sehr deutlich.

Inhaltlich wirft das Urteil des FG Münster freilich große Fragen auf, ob ein Finanzgericht den Wortlaut des Gesetzes derart „beiseite“ schieben darf. Ein Gesetz mag widersprüchlich und sinnwidrig sein, aber das Bundesverfassungsgericht hat das „Verwerfungsmonopol“ für Gesetze. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesfinanzhof mit dem Urteil und dem „forschen Beiseiteschieben“ des Gesetzes umgeht.

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  • Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Niels Doege

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